On the Waterfront (1954) – Review | Filmkuratorium (2024)

Lange Zeit war es unmöglich, „On the Waterfront“ unabhängig von seinem Entstehungskontext zu betrachten. Sein Regisseur Elia Kazan war vom allseits bewunderten Repräsentanten freigeistiger Hollywood-Wunderkinder, die damals eine neue Art von Film zu erschaffen schienen, jäh zum widerlichen Denunzianten geworden. Denn Kazan hatte1952 vor dem kontroversen House Un-American Activities Committee(HUAC) acht Namen von Schauspielern ausgeplaudert, die mit ihm viele Jahre zuvor der Kommunistischen Partei in den USA angehört hatten. Nicht nur hatte Kazan damit einstige Weggefährten ans politische Messer geliefert; auch hatte er ein stillschweigendes Solidaritätsgebot der Filmbranche verletzt, da schließlich etliche andere ihre Aussage verweigert hatten –nicht selten zum Preis ihrer Karriere. Für einige war Kazan dadurch zur Persona non grata geworden und in Hollywood-Gefilden legte sich über ihn ein Bannspruch, der noch bis zu seinem Tod Bestand hatte.

Und was machte Kazan? Er wollte sich mit einem neuen Filmprojekt als erfolgreicher Künstler rehabilitieren und allen Feinden, Spöttern und Zweiflern, aller Welt ein für alle mal zeigen, dass er –Elia Kazan– kein opportunistischer Verräter war, sondern das einzig Richtige getan hatte. „On the Waterfront“ sollte die Geschichte eines Mannes –seine Geschichte– erzählen, der üble Burschen ausliefert, damit die Welt danach eine bessere sein würde. Kazan schloss sich mit dem Schriftsteller Budd Schulberg (der ebenfalls als Ex-Kommunist vor dem HUAC ausgesagt hatte, aufgrund seiner geringeren Prominenz aber nicht so wie Kazan im Fokus der Öffentlichkeit stand) zusammen, um „On the Waterfront“ auf die Beine zu stellen, in dem sein Alter Ego Terry Malloy –der Hafenarbeiter, der öffentlich gegen die Mafia aussagt– die ethisch akzeptablen Umstände eines legitimen Treuebruchs verdeutlichen sollte. So war Terry Malloys Aufschrei: „I’m glad what Idone –ya hear that?“, zugleich auch der Selbstlegitimationsschrei von Elia Kazan –enn er bereute nichts, sah seine Auskunft sogar noch als moralisch wie politisch gerechtfertigte, patriotische Tat an. Das machte seine Kritiker freilich nur noch wütender, noch fassungsloser.

Als Kazan durch die Unterstützung seines einstigen Protegés Karl Malden 1999 den Ehren-„Oscar“ zugesprochen bekam, spaltete sich mit einem Mal das Academy-Awards-Auditorium in diejenigen, die mit Standing Ovations applaudierten, und diejenigen, die mit verschränkten Armen und finsteren Gesichtern stumm verharrten, als der 89-Jährige die Bühne betrat (Video auf Youtube ansehen) –vor dem Hintergrund des Academy-Glamours eine geradezu gespenstische Real-Szene.

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On the Waterfront“ lag eine Artikelserie in der New York Sun zugrunde, die über die illegalen Vorgänge im Hafenmilieu von New Jersey berichtete, über ein verbrecherisches, geheimnisvolles System. Ihr Autor, Malcolm Johnson, erhielt für diese aufklärerische Reportage später den „Pulitzer“-Preis. Jedenfalls bot sie ambitionierten Filmemachern wie Kazan und Schulberg ordentlich Stoff. Über die Entstehung des Films ist eine kuriose Anekdote überliefert: Schulberg und Kazan hatten seit Monaten am Drehbuch gearbeitet, waren mit jedem Tag, der verging, immer stärker von ihrem Projekt überzeugt. Aber DarrylF. Zanuck, der Produktionsleiter der Fox, beendete das Projekt jäh; und auch alle anderen großen Studios lehnten es ab. Kazan war durch seine HUAC-Aussage gebrandmarkt und all seine letzten Filme waren Kassenflops gewesen.

Schulberg und Kazan wohnten noch ein paar Tage auf Kosten der Fox im berühmten „Beverly Hills Hotel“, hatten sich dort mit einer Schreibmaschine und viel Papier eingeschlossen. Wie der Zufall es wollte, gastierte in dem Hotel zum selben Zeitpunkt der freie Produzent Sam Spiegel (der sich in jenen Tagen allerdings S.P.Eagle nannte), und eines Abends gingen Kazan und Schulberg, beschwingt von einigen Drinks, zu Spiegel, der seine Suite auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges hatte. Für Kazan und Schulberg, die im Hollywood’schen Mikrokosmos nun keine Anlaufstelle mehr hatten, zumindest die bekannten und naheliegenden Alternativen allesamt erfolglos abgeklappert hatten, war Spiegel so etwas wie der Deus exMachina.

Spiegel, der gerade selbst nach einem lukrativen Projekt Ausschau hielt, nahm sich dieses eigentlich dem Untergang geweihten Projekts an, trieb bei der Paramount das Produktionsgeld auf und engagierte Brando (der eigentlich nicht mehr mit Kazan, dem Verräter, zusammenarbeiten wollte, dann aber vorgab, so während der Dreharbeiten zumindest seinen Therapeuten auf der anderen Seite des Hudson River aufsuchen zu können).

On the Waterfront“ zählt heute zum Kanon der Filmklassiker. Kazans verkappter Privatpropagandafilm war ein voller Erfolg, auch –und besonders– damals schon: An den Kinokassen bildeten sich lange Schlangen; die Reviews vielen positiv aus; und „On the Waterfront“ gewann seinerzeit trotz seines kontroversen Regisseurs die wichtigsten „Oscars“ (insgesamt acht, bei elf Nominierungen): u.a. für den besten Film, besten Regisseur, besten Hauptdarsteller und die beste Nebendarstellerin. Angesichts der meist überschwänglichen Reaktionen, auf die man im Zusammenhang mit „On the Waterfront“ unweigerlich stößt, liegt das Urteil nahe, das Werk als einen Meilenstein der Filmhistorie zu betrachten. So gehört er neben „The Wild One“(1953) zu denjenigen Filmrollen Brandos, die der Spiegel in seinem Nachruf als „Inbild des melodramatischen Rebellen der in entfesselter Wut aufbegehrt nicht bloß gegen die Schlechtigkeit der Welt, sondern gegen die eigene Schwachheit und die des Menschen überhaupt[1] bezeichnet hat. Brando, so eine landläufige Meinung, habe damals die Filmschauspielerei der Zukunft geprägt; noch rund ein halbes Jahrhundert später rühmte Kazan die Darbietung seines Hauptdarstellers als „beste schauspielerische Leistung eines amerikanischen Akteurs nach dem Zweiten Weltkrieg(Artikel aufrufen)[2].

Dokumentiert sind darüber hinaus unzählige Zitate von Stars aus der Filmbranche, die bei der Erinnerung an Brandos Performance ins Schwärmen geraten: So sei zum Beispiel der Film dasjenige Kinoerlebnis gewesen, das den späteren deutschen Regisseur und „Oscar“-Preisträger Volker Schlöndorff dazu bewogen habe, ins Filmgeschäft einzusteigen. Wer also nachvollziehen will, worauf all diese euphorischen Bewertungen eigentlich gründen, muss sich natürlich „On the Waterfront“ ansehen.

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Heute, im Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert, lässt sich die Wirkung von Kazans Film freilich nur noch erahnen; denn vieles ist inzwischen aus etlichen anderen Werken bekannt und gewohnt, kommt jedenfalls weitaus weniger spektakulär daher als noch in den 1950erJahren –als gerade das TV-Zeitalter aufkam und der Besuch von Lichtspielhäusern noch eine aufregende Freizeitbeschäftigung war.

Zu Beginn des Films stürzt ein Mann vom Dach einer Mietskaserne. Er hatte vor der Crime Commission aussagen sollen –gegen die Hafenmafia, an deren Spitze Johnny Friendly (LeeJ. Cobb) steht. Friendly kontrolliert die Docks und richtet über Leben und Tod wie ein Monarch (Johnny: „We got the fattest piers in the fattest harbor in the world. Everything that moves in and out –we take our cut.“). Terry Malloy (Marlon Brando) hat den Mord gesehen und kennt dessen Hintergründe. Aber er will nicht aussagen, stellt sich taub und dumm. Das gebietet der Kodex dieses sozialen Mikromilieus der Hafenarbeiter. Und obendrein ist Terrys älterer Bruder Charley Malloy (Rod Steiger) einer von Friendlys Leuten. Das ist die große Konfliktgeschichte von „On the Waterfront“, die noch gesteigert wird durch Terrys Gefühle für Edie Doyle (Eva Marie Saint, die gleich mit ihrem allerersten Kinofilm den „Oscar“ gewann) –die Schwester des Ermordeten. Bedrängt von den moralischen Appellen des Pfarrers („Oscar“-nominiert: Karl Malden) und in Liebe mit der Schwester des Gemeuchelten, muss sich Malloy entscheiden, die Seite zu wechseln oder weiterzumachen. Wachsende, schließlich unerträgliche Gewissensbisse führen den Zeugen Malloy schließlich vor eine Kommission, der er Material für die Festnahme von Johnny Friendly, dem kleinen Gott von Hoboken, liefert.

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Diese schwülstige Wendung ist zum Glück nicht das, was den Film ausmacht. Es ist die Atmosphäre, es sind die Szenen und Dialoge, die „On the Waterfront“ noch heute zu einem beeindruckenden Werk machen. In den Docks von New Jersey, durch die eine eisige Kälte zieht, herrscht die von Mafiosi infiltrierte Gewerkschaft. Wer sich hier nicht „dumb and deaf“ stellt, wird eben vom Dach geschubst oder von herunterstürzenden Transportpalletten erdrückt. Es ist die Zeit vor den Großkränen und Containerschiffen, in der die Arbeiter noch ganz hart anzupacken haben. Arbeitsverträge gibt es keine, Jobs werden täglich aufs Neue vergeben –ein „shape-up“ genanntes System, das für Korruption prädestiniert ist. Wer sich dem kriminellen Regime nicht fügt, erhält keine Beschäftigung und riskiert die Armut.

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Wie real diese Kleinganovenkultur des Hafenareals von Hoboken war, zeigte sich in den Produktionskosten, die sich aufgrund erpresserischer Geschäftemacher, die hier und da mitten in den Dreharbeiten die Preise für gemietete Locations hochschnellen ließen, angeblich um rund 30.000Dollar erhöhten. Vom Schicksal begünstigt hingegen war das Produktionsteam im Hinblick auf die Wetterverhältnisse: Kazan freute sich über die ungewöhnliche Kältefront, den heftigen Regenfall und einen der stärksten Schneestürme seit langer Zeit, die ihm vollkommen kostenlos eine klimatisch passende Dramaturgie boten und eine beklemmende Atmosphäre schufen. Zum Realismus trugen auch die ca.500Original-Hafenmalocher bei, die als Komparsen angeheuert worden waren. Während der Originaltitel also ebenso prägnant wie präzise den Filminhalt trifft, ist die deutsche Variante „Die Faust im Nacken“ im martialischen Tonfall der postnationalsozialistischen Adenauer-Republik gehalten.

Die Besetzung ist stark: Brando, der sich einen harten Hoboken-Akzent zulegte, mag zwar manches Mal in seiner Darstellung übertrieben wirken –aber insgesamt passt er auf diese pathosgeladene Rolle des erst feigen, dann renitenten Hafenarbeiters. Mit seinem kantigen Gesicht nimmt man ihm den Ex-Boxer ab; und mit seiner melancholischen Augenpartie auch den Verliebten. Eigentlich hatte Frank Sinatra die Rolle bekommen sollen –er und Kazan hatten sich schon zur Kostümbesprechung getroffen. Aber Spiegel ließ Sinatra eiskalt fallen, weil der Name Brandos –der stürmischen Hauptfigur aus dem Megahit „AStreetcar Named Desire“(1951) (Kurzreview auf Filmkuratorium.de lesen)– bei den Geldgebern damals größere Summen freimachte, als dies Sinatra vermochte.

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Eva Marie Saint wirkt in ihrem Leinwanddebüt so souverän, als habe sie schon in hundert Filmen mitgespielt. Karl Malden, der lebenslange Kazan-Freund, der in den Siebzigern als Lieutenant Mike Stone an der Seite von Michael Douglas in „Streets of San Francisco (1972–77) Bestandteil eines der coolsten Cop-Duos der Film- und Fernsehgeschichte war, spielt Pater Barry. Vieles von der späteren Mike-Stone-Figur, vor allem Mimik, Gestik und Emphase in der Stimme, kommt bereits in diesem „On the Waterfront“-Charakter zum Vorschein. LeeJ. Cobb, der gebürtige New Yorker –später öfters als Polizeikommissar besetzt–, ist der Mafia-Tyrann, der selbstherrlich die Docks regiert und aus dessen ganzer Körpersprache sein Herrschaftsanspruch hervorgeht. Fast unscheinbar, aber gerade deshalb so gut ist Rod Steigers Darstellung von Terrys Bruder Charley Malloy, der später zerrissen wird von seinen unvereinbaren Loyalitätsschulden gegenüber seinem Boss Johnny Friendly und seinem Bruder Terry.

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Was machte den Film so gut? Bei „On the Waterfront“ kam einfach alles zusammen –alles passte am Ende, als habe sich der Filmgott erbarmt und eine Idealproduktion geschaffen. Kazan hatte ein unbedingtes Interesse am Erfolg des Projekts, mit dem sich sein weiterer Karriereverlauf entscheiden würde –er konnte sich keinen Fehltritt erlauben, und er wollte es all seinen Kritikern und Gegnern ein für allemal zeigen, ja: heimzahlen. Schulberg hatte sich monatelang in die Untiefen des Hafenarbeitermilieus begeben, hatte den realen Terry Malloy –Tony Mike, einen Arbeiter, der gegen die Hafenmafia ausgesagt hatte– getroffen, sich mit ihm angefreundet und dessen Vertrauen gewonnen; aus jeder Pore des Films trieft Schulbergs außergewöhnliche, maximal intensive Recherche. Dann war da Sam Spiegel, der Produzent, der die Crew immer wieder an die Budgetgrenzen gemahnte und Kazan beinahe zur Weißglut trieb, aber am Ende dafür sorgte, dass „On the Waterfront“ keine Million Dollar kostete. Und Spiegel hatte das Drehbuch von Kazan und Schulberg mit seinem untrüglichen Instinkt für eine mitreißende Handlung verschlankt –die beiden Autoren war erst sauer, später dankten sie es ihm. Und schließlich war die Hafenmafia mitnichten ein Hirngespinst kreativer Hollwood-Fantasten, sondern bittere Realität. Tatsächlich holte sich Kazan, so will es die Legende, vor dem Dreh das Einverständnis von der Dock-Mafia ein –die er ja im Film als ausbeuterisches, eiskaltes Gesindel zu porträtieren gedachte.

Weil Kazan gegen unzählige Widerstände gewissermaßen um seine Karriere drehte, die Crew Tag und Nacht dem diesig-kalten Wetter trotzte und alle stets von der realen Hafenmafia beargwöhnt wurden, hatten am Ende alle das Gefühl, so berichtete es Kazan in seiner Autobiografie, die Dreharbeiten mehr überlebt denn abgeschlossen zu haben. Und aus ebendiesem Kraftakt –der Gefahr, den Schmerzen, dem Druck– erwuchs eine ganz besondere Qualität.

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On the Waterfront“ ist nicht nur ein Kazan-, sondern auch ein Brando-Film. Nach drei vergeblichen Nominierungen in Folge krönte die Academy den jungen Brando endlich mit dem begehrten Hauptdarsteller-„Oscar“ und verlieh ihm damit im Alter von Ende zwanzig bereits eine Art künstlerische Unsterblichkeit (wenngleich Brando später rigoros ablehnte, Schauspiel als Kunst zu bezeichnen). Auch wenn die härteste Szene jene am Schluss ist, in der Brandos Malloy sich übel zusammenschlagen lässt und danach mit geschwollenem Kopf, Lippen und Nasenlöchern, aus denen Blut fließt, seine Unbeugsamkeit zelebriert, hat eine andere Sequenz Filmgeschichte geschrieben. Darin sitzen die beiden Malloy-Brüder im Fahrzeugfond und Charley soll Terry mit dessen Leben erpressen, nicht vor der Behörde gegen Johnny Friendly auszusagen. Terry –ein talentierter, aber gescheiterter Amateurboxer– lässt plötzlich all die aufgestaute Wut gegen seinen Bruder und Friendly heraus: Sie hätten ihn für Geldwetten missbraucht („It was you, Charley.“) und seine aussichtsreiche Karriere im Keim erstickt –die berühmten Worte fallen: „Icould’ve had class. Icould’ve been acontender. Icould’ve been somebody. Instead of abum.“

Die berühmte Aussprache der beiden Film-Brüder war laut Brando improvisiert und wich gegen Kazans anfänglichen, dann aber durch die Performance überwundenen Widerstand vom Drehbuchdialog ab. Brando liebte Kazan für die Freiräume, die der Regisseur seinen Darstellern ließ. Andere hassten ihn da bereits.

[1] O.V.: Nachruf: Marlon Brando, in: Der Spiegel, 05.07.2004.[2] Kazan zitiert nach Hairapetian, Marc (Gespräch mit Elia Kazan): „Was sollte ich bereuen?“, in: Spiegel Online, 30.09.2003, URL: http://www.spiegel.de/kultur/kino/interview-mit-elia-kazan-was-sollte-ich-bereuen-a-267799.html [eingesehen am 28.04.2017].

Text verfasst von: Robert Lorenz

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